Ich müsste im Keller noch irgendwo ein Foto von ihr haben. Sie war eine Rollstuhlfahrerin, die im Haus Roderbruch lebte, dem Wohnheim für Schwerstkörperbehinderte, in dem ich damals meinen Zivildienst machte.
Ich musste sie und ihre Zimmergenossinnen oft pflegen. Sie wohnte in Zimmer 20 mit Siggi, Heike und der blinden Helga zusammen.
Zimmer 20 war das "Christenzimmer". Alle beteten fleissig für mich und alle anderen Zivis und Pflegekräfte.
Ab und zu musste ich sie mit dem Kleinbus zur Bibelschule nach Wolfenbüttel bringen, oder zu Konferenzen der "Geschäftsleute des vollen Evangeliums" nach Braunschweig.
Die Athmosphäre in Zimmer 20 war auffallend anders, als in den anderen Zimmern. Dort wurde viel gelacht, gesungen und gebetet. Wenn ich mies drauf war und völlig fertig mit mir und der Welt, änderte sich meine Stimmung sofort, wenn ich für dieses Zimmer eingeteilt war. Obwohl ich noch kein Christ war, muß ich schon empfänglich für die heilende Wirkung des Heiligen Geistes gewesen sein. Ich bekam gute Laune, wenn ich Ilona und die Anderen pflegte.
Besonders groß war natürlich die Freude in Zimmer 20, als ich mich nach einiger Zeit zu Jesus bekehrte; schließlich hatten sie schon lange darauf hingearbeitet und gebetet.
Ich fing an, regelmässig in den Gottesdienst zu gehen und lernte dabei natürlich die ganzen Lieder kennen, die man in Zimmer 20 schon lange kannte.
Ilona hatte Muskelschwund und konnte mit den Beinen gar nichts- und mit den Händen nur noch sehr wenig machen. ich legte ihr die Gitarre auf den Schoß und dann zupfte und spielte sie leise auf der Gitarre. Es fiel ihr aber sehr schwer.
Wir sangen oft zusammen in Zimmer 20 und als die Behinderten feststellten, daß ich auch ein wenig Gitarre spielen konnte, verdonnerten sie mich dazu, die Lobpreislieder zu spielen, während sie dazu sangen. Meistens waren es ja nur 2 bis 3 Akkorde, die ich schrammeln musste und Ilona sagte mir, wie die gingen.
Ich hatte vor dieser Zeit jahrelang versucht, zu den Akkorden, die ich kannte, zu singen, aber das hatte nie geklappt. Ich konnte mich einfach nicht gleichzeitig aufs spielen und singen konzentrieren. Es ging nur entweder das Eine oder das Andere.
Das frustrierte mich nun ziemlich, denn ich hätte beim Lobpreis gerne mitgesungen, musste aber die doofen Akkorde schrammeln, damit die Anderen eine gute Zeit mit dem Herrn haben konnten. - Ich sang die Lieder wirklich sehr gern -
Meistens ging ich in meiner Abendbrotpause in Zimmer 20, um mit meinen neuen Geschwistern Gemeinschaft zu haben. Oder ich kam einfach mal vorbei, wenn ich keinen Dienst hatte - ich wohnte ja schließlich nur eine Etage höher auf dem "Pflegerflur".
Eines abends klagte ich Ilona mein Leid: "Ich finde es doof, nur Gitarre spielen zu können, während ihr am singen seid. Das macht mir einfach keinen Spaß mehr!"
Ilona antwortete: "Versuch doch einfach mal beim Gitarrespielen mitzusingen, daß ist gar nicht schwer". Ich kann nicht gleichzeitig spielen und singen", gab ich zurück, "daß habe ich schon jahrelang erfolglos versucht". "Versuch es doch trotzdem noch mal, Du kannst das", war ihre Antwort. "Nein, ich kann es eben nicht"! gab ich schon halb entrüstet zurück.
"Doch Du kannst!" beharrte Ilona hartnäckig auf ihrer Meinung.
"OK", antwortete ich mürrisch, "damit Du mir glaubst, daß es eben nicht geht, versuche ich es Dir zuliebe eben noch mal". Wir suchten ein einfaches Lied aus, ich nahm die Gitarre und spielte , machte meinen Mund auf.... und konnte singen!
Ilona strahlte mich an wie ein Honigkuchenpferd und feixte grimassierend über mich.
Seitdem konnte ich gleichzeitig singen und Gitarre spielen.
Ich wurde Lobpreisleiter in der Gemeinde. Und Ilona (Gott habe sie selig) hat schuld daran.
1 Kommentar:
hallo donralfo, finde ich schön, dass du mal über ilona geschrieben hast. ich kann mich auch noch sehr gut an sie erinnern. ihr lieblingslied war "der himmel ist ein herrlicher ort..." ja, und in dieser realität lebt sie nun schon viele jahre! dm
Kommentar veröffentlichen