Samstag, 20. April 2024

Lobpreis oder Klage?

Foto: mccartyv, Pixabay
Foto: mccartyv, Pixabay
Ich liebe Lobpreismusik und die Anbetung Gottes in der Gemeinschaft mit anderen Christen.

Man könnte sagen: Lobpreismusik war mein Lebensinhalt. Obwohl mit musikalischem Talent nur mäßig gesegnet und weit entfernt von Virtuosität an der Gitarre, liebte ich es allein in meiner Gebetszeit Lieder zu Gott hin zu singen und ihn darin anzubeten. 

So erlebte ich seine Nähe und etwas von der Kraft Gottes, die uns durch den wunderbaren heiligen Geist zufließt.

Ich wurde Lobpreisleiter im Hauskreis und in der Gemeinde und übte diesen Dienst viele Jahre lang aus. Später sogar 3 Jahre lang als "Hauptamtlicher", bezahlter Lobpreisleiter in einer "wilden" Bibelschule. 

Was nur wenige wussten: Ich hatte Zeit meines Lebens Probleme mit Depressionen. Und das schon als Kind.

Auf der Bühne war ich der Strahlemann und sobald ich sie betrat, fühlte ich mich auch von Gottes Geist getragen und erfüllt, so dass aller Stress, Traurigkeit oder Probleme so klein wurden daß sie mir völlig unerheblich vorkamen.

Lobpreis war mein Leben und ich ging auf in Liedern des Sieges, jubelns, dankens und glaubens. Niederlage, Krankheit, Tod und Klage kam nicht vor, denn "wir sind ja mehr als Überwinder". 


Als ich dann "Profichrist" wurde und für meine Tätigkeit bezahlt wurde, dachte ich am Ziel meiner Träume zu sein: Keine Trennung mehr zwischen Beruf und Berufung, Lobpreismusik als mein Lebensinhalt und predigen des Wortes Gottes wären wie der Himmel auf Erden!  Ständig nur in der "Wolke" der Gegenwart Gottes leben, von seiner Kraft durchflutet zu werden und seine Liebe mit der Welt zu teilen. 

Es dauerte nicht lange, bis die Disposition zu Depressionen sich meldete. Ich fühlte mich unter Druck, ständig etwas frisches, neues vom Herrn zu hören und zu empfangen und ich spielte meine Lieblingslieder so oft, daß sie begannen mich zu langweilen. Ich fühlte mich manchmal wie der Plattenspieler einer Jukebox, in die Geld eingeworfen wird und die dann auf Knopfdruck die gewünschten Schlager immer wieder runterleiern muss.

Wenn ich auf die Bühne ging, blieb der Druck und die Depression mehr und mir in mir und bei mir und ließ sich nicht mehr weg singen. Mir war zum Heulen zumute, doch ich musste fröhliche Lieder singen, denn das war mein Beruf! Eine furchtbare Zwickmühle, an der ich innerlich zerbrach. Und das meine ich wortwörtlich. Was damals in meiner Seele kaputt gegangen ist, davon habe ich mich nie wieder erholt. 

Ich liebe immer noch den Lobpreis Gottes, wenn er mir echt und ehrlich vorkommt. Ich liebe Anbetungsmusik - vor allem wenn sie nicht floskelhaft immer die gleichen Worte benutzt, die mir dann oft nur wie leere Worthülsen vorkommen.

Aber ich kann nur noch mitsingen, nicht mal im Hauskreis, geschweige denn auf der Bühne über längere Zeit die Gitarre nehmen und eine Lobpreiszeit leiten - es tut einfach zu weh innerlich! Das tiefe Trauma kommt als Flashback immer wieder hoch. Ich verstehe weder, warum Gott diesen Absturz zugelassen hat, noch warum er mich nicht längst geheilt hat. - Schließlich drehte sich mein ganzer "Lobpreisdienst" um ihn und seine Ehre. 

Ich habe so oft versucht, den Staub von der Gitarre zu wischen, habe neue schöne Lieder gelernt, Gitarrenunterricht gegeben, versucht den Hauskreis mit Liedern in die Anbetung zu führen, habe ein paar Schichten im Gebetshaus übernommen - der tiefe Schmerz bleibt und geht nicht weg. Eine Angsterkrankung kam noch dazu, die mich lähmt.

"Ich erhebe die Klage", sang einst Xavier Naidoo, als er noch gut drauf war. 

Ich freue mich über Lieder der Klage, die neu entstanden sind und einen Raum in der Lobpreismusik finden. Denn wenn mir zum Heulen zumute ist, will ich das nicht länger wegdrücken und so tun als hätte ich noch Hoffnung, Glauben und Zuversicht. 

Ich will vor Gott mein Herz ausschütten dürfen. Und da ist oft so viel Schmerz, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit drin - so viel Dunkelheit, Sorgen und Ängste, obwohl ich mich zu Jesus bekehrt habe, durch sein Wort und Geist von neuem geboren wurde und ihm nachzufolgen versuche. 

Jeremia ist ein sehr unbequemer Prophet. Seine Klagelieder sind nicht einfach zu verdauen. Ich las ihn früher immer sehr ungern, als ich noch glaubte daß ein Christ immer fröhlich, siegreich und gut drauf sein müsste. Doch irgendwann erkannte ich ihn als meinen tief depressiven Bruder, denn seine Texte spiegelten meinen eigene Seelenfinsternis so gestochen scharf wieder wie es nicht einmal Hiob konnte. 

Jer. 15,18 "Warum ist mein Schmerz dauernd <da> und meine Wunde unheilbar? Sie will nicht heilen. Ja, du bist für mich wie ein trügerischer Bach, wie Wasser, die nicht zuverlässig sind. - "

So erlebte Jeremia seinen Gott! In Phasen wo die Bäche Gottes (gemeint sind die Wadis der Wüste) voller Wasser sind, erfreute er sich an der heilenden Nähe Gottes und dachte, ständig in der Fülle seines Segens zu leben. Aber dann versiegen diese trügerischen Bäche der Wüste plötzlich ohne jede Vorankündigung und er fühlte sich von Gott vergessen und verstoßen. 

Du bist für mich wie ein trügerischer Bach, Gott. Du bist nicht zuverlässig! 

Ich kann Jeremia so gut verstehen. Und er klagt Gott nicht nur sein Leid, er klagt ihn sogar selbst an!

Viele christlichen Lehrer behaupten, dass Gott mit solchen Anklagen sehr gut zurecht käme - das mag sein, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mir selbst auf Dauer nicht gut tut, Gott bitter anzuklagen. Es hilft mir nicht weiter. Weiter hilft mir wenn ich den Turnaround schaffe und mich an die guten Dinge erinnere die Gott mir geschenkt hat und wenn ich anfange ihm dafür zu danken. 

Und so endet ja auch manch klagender, verzweifelter Psalm Davids in triumphierendem Lob und Dank. 

Aber mich stoßen Glaubensrichtungen ab, die nur von Sieg, Wundern und Heilungen singen, die nur jubeln, jauchzen und tanzen wollen, die aber über das Leid und den Schmerz schweigen, den auch treue Christen durchmachen müssen. Das kommt mir so unecht und unrealistisch vor. 

Lasst uns vor Gott und den Menschen echt sein! 


2 Kommentare:

Peter Hoeft hat gesagt…

So ging es mir auch in einigen Gemeinden. Der Lobpreis, die Gebete - es klang oft so unecht, so gekünstelt. Das war so bei den Charismatikern, aber auch bei den Brüdergemeinden, wenn auch auf völlig andere Art. Erschien uns beides oft nicht authentisch. Die einen steigerten sich nach meinem Empfinden in eine als besonders geistlich empfundene Stimmung hinein (ich auch manches Mal, nur hielt das Ganze nicht lange vor) - die anderen bezeichneten sich selbst als Staub und "nichts wert". In der Rückschau, mit fast 50 Jahren Abstand empfinde ich die Gottesdienste (oder wie nannten wir es damals?) im Jesus-Treff am Echtesten und wenn ich die alten Videos anschauen, berührt mich das immer noch und ich "ertappe" mich immer wieder mal dabei, die alten Lieder beim Spaziergang/Hundegang auf Feldweg oder im Wald vor mich hin zu singen. Schönen Restsonntag - Peter Hoeft

Anonym hat gesagt…

Wir nannten die Gottesdienste "Gemeinschaft" 😃
Ralf